Wenn wir heute immer noch das
Andenken an Barbara Uthmann wach halten, hat das nicht nur seinen
Grund in den vielen Legenden, die im Laufe der Jahrhunderte um ihre
Person gewoben wurden, sondern wir ehren sie auch stellvertretend
für alle Menschen, die in den ersten hundert Jahren des Bestehens
der Stadt Annaberg den Grundstein für die Größe, den
Reichtum und den Ruf dieser Stadt in Deutschland und darüber
hinaus legten.
In diesem Beitrag soll versucht
werden, das Bild der Barbara Uthmann historisch genau zu zeichnen
und von Mutmaßungen und unbeweisbaren Behauptungen Abstand
zu nehmen.
Der Großvater Barbaras,
Johann vom Elterlein, stammte aus Elterlein, wo er gemeinsam mit
Hans Hünerkopf erfolgreich Bergbau auf Silber betrieb1.
Unmittelbar nach dem Beschluß der herzoglichen Kommission
vom 21. September 1496, am Fuße des Pöhlbergs eine Stadt
anzulegen, führte er die Kaufverhandlungen mit dem Richter
von Rückerswalde wegen eines Großteils der Flur, auf
dem die Neustadt erbaut wurde2. Nach dem Bau der ersten
Häuser beschloß auch Johann vom Elterlein, seinen Wohnsitz
zu wechseln. Er baute sich ein Haus auf der Klostergasse3
(heute Klosterstraße 7) und bezog es mit seiner Frau Margaretha,
seinen Kindern Heinrich und Katharina und dem Stiefsohn Wolfgang.
Auch in der Neustadt betrieb er Bergbau. So wird er z.B. am 1. März
1499 als Schichtmeister der 2. und 3. Maaß nach dem Gegendrum
der 10000 Ritter erwähnt4 . Am 27. April 1500 wird
er zum ersten Mal namentlich als „richter uff der Neustadt genannt5.
Das Richteramt übte Johann vom Elterlein bis zum 1. Mai 1505
aus6. Als er 1516 starb und in der Annenkirche beigesetzt
wurde7, hinterließ er seiner Familie ein beträchtliches
Vermögen.
Heinrich vom Elterlein, der
Vater Barbaras, verwaltete und vermehrte mit viel Geschick das ererbte
Vermögen. Wie schon sein Vater und die meisten seiner Zeitgenossen
betrieb er Bergbau, - d.h. er kaufte Kuxe von verschiedenen ertragreichen
Gruben, leistete somit seinen finanziellen Beitrag zum Betreiben
der Bergwerke und war dadurch natürlich auch am Gewinn beteiligt.
Daneben kaufte und verkaufte er gewinnbringend Häuser in Annaberg.
An dieser Stelle muß
auf die Meinung, wonach Heinrich vom Elterlein erst 1526 nach Annaberg
gezogen sei und seine Tochter Barbara demzufolge in Elterlein geboren
wurde, eingegangen werden. Viele Einträge in den Annaberger
Ratsakten belegen einen früheren Zuzug. So schulden am 3.9.1507
„die herrn zcum Elterlin“ den Erben von Hans Breuer Geld für
Wein8. Am 3.10.1511 wird Heinrich mit Äckern und
Wiesen belehnt, die er von Michel Walt für 140 fl. baren Geldes
gekauft hat9. Die Angabe von Harms zum Spreckel, Heinrich
sei um 1485 geboren, bedeutet, daß er beim Umzug seines Vaters
minderjährig war.
1526 wurde er von Herzog Georg
als Zehntner berufen10. In diesem Amt war er zuständig
für die Errechnung, Einnahme und Abführung des zehnten
Teils aus den Einkünften aller Gruben des Annaberger Reviers,
die an den Landesherrn abgeführt werden mußten. 1533
wurde er aus dem Amt entsetzt11. Der Grund hierfür
ist nicht bekannt. Um 1510 heiratete Heinrich vom Elterlein Ottilie
Arnolt aus Chemnitz12,13,14. Aus dieser Ehe gingen 9
Kinder, 5 Töchter und 4 Söhne, hervor. Sein Vermögen,
das 1530 mit 5000 Gulden veranschlagt wurde15, ermöglichte
ihm und seiner Familie ein Leben in Wohlstand und gestattete den
Kindern eine hervorragende Schulbildung. So nimmt z.B. der Sohn
Georg 1524 Rechenunterricht bei Adam Ries. 1519 kaufte Heinrich
vom Elterlein von der Witwe des Bürgermeisters Philipp Weinbeer
für 1800 Gulden ein Haus am Markt16 (heute Buchholzer
Straße 2), in das er mit der Familie 1520 einzieht. Als er
kurz vor seinem Tod 1539 noch einmal seinen Wohnsitz wechselt und
in das für 1600 Gulden gekaufte Haus in der Klostergasse (heute
Klosterstraße 5) umzieht17, weiß er seine
Familie in gesicherten finanziellen Verhältnissen.
Um 1514 wurde Heinrich vom
Elterlein die Tochter Barbara geboren. Ihre genauen Geburtsdaten
lassen sich nicht mehr ermitteln, weil die Taufbücher aus dieser
Zeit verlorengegangen sind. Ihre Kindheit war bereits geprägt
durch Bergbau und das dadurch erheblich geförderte Aufblühen
der jungen Bergstadt. Im Haus ihres Vaters, des Zehntners, gingen
alle Bergherren ein und aus. So begegnete ihr auch der 7 Jahre ältere
Christoph Uthmann, der von Löwenberg in Schlesien hierher gezogen
war. 1529 heirateten beide18 und zogen 1531 in ihr vom
Vater gekauftes Haus19 (heute Museumsgasse 1). Vier Jahre
später bezog die Familie das für 1000 Gulden gekaufte
repräsentative Wohnhaus am Markt20 (heute Markt
8). Ihrer Ehe entsprossen 12 Kinder.
Christoph Uthmann war ein sehr
erfolgreicher Berg- und Hüttenherr. Er war an der ertragreichsten
Grube des Annaberger Reviers, Himmlisch Heer, als bauender Gewerke
beteiligt, besaß die Kupfergrube St. Briccius hinter dem Pöhlberg,
ein Pochwerk an der Pöhla und mehrere Hütten. Die aus
dem Bergwerk fließenden großen Einnahmen gestatteten
Christoph, sich immer neuen Unternehmen zuzuwenden. Am 24. Juni
1537 hatte der Bergmeister Hans Linhart, übrigens der Ehemann
einer Cousine Barbaras, von Hans und Christoph von Berbisdorf einen
Raum bei Olbernhau gekauft zwecks Errichtung eines Hüttenwerks
zur Saigerung von Schwarzkupfer der benachbarten sächsischen
und böhmischen Bergwerke, besonders der zu Annaberg, Schneeberg,
Elterlein, Freiberg und Katharinenberg in Böhmen. Dieses Werk
übernahm Christoph im Jahr 1550 käuflich21.
Um das Saigerwerk gewinnbringend zu gestalten, hatte er sich ein
Privileg verschafft, wonach ihm von allen Kupferzechen die Erze
zu einem vom Landesherrn festgesetzten Preis abgetreten werden mußten.
Als Christoph am 11. September
155322 plötzlich starb, stand Barbara vor der Aufgabe,
die Unternehmen ihres Mannes weiterzuführen. Obwohl es zur
damaligen Zeit üblich war, für Witwen einen Vormund einzusetzen,
konnte Barbara gemeinsam mit ihren Kindern durchsetzen, daß
in ihrem Fall darauf verzichtet wurde. Mit den Söhnen Hans,
Heinrich und Paul und dem Schwiegersohn Hans Biener beschloß
sie, die äußerst gewinnbringende Saigerhütte in
Grünthal weiterzubetreiben. Barbara beantragte bei Kurfürst
August I. die Verlängerung des Kupfermonopols. Er überließ
am 24. Juli 1554 für ein Jahr das Recht zum Aufkauf allen silberhaltigen
Schwarzkupfers zur Trennung des Silbers vom Garkupfer. Nach einem
Jahr wurde dieses Privileg um weitere drei Jahre verlängert.
Jährliche Festlegungen regelten den Preis für die aufzukaufenden
Erze. Nach Ablauf der Frist beantragte Barbara eine erneute Verlängerung
des Kupfermonopols. Dem stimmte August I. zu, indem er verfügte,
daß Christoph Uthmanns "nachgelassen Witwen und Kindern, ...
weil sie sich um diesen Handel allbereit dermaßen geschickt,
das sie denselben mehrer theils durch ihre Kinder bestellen könnte“.
Dieses Mal belief sich die Verlängerung auf acht Jahre, aber
jährlich mußte dafür eine Summe von 500 Talern an
den Kurfürsten gezahlt werden. Erhebliche Investitionen in
den folgenden Jahren beweisen, daß die Saigerhütte reichen
Gewinn erwirtschaftete. Sie sprechen aber auch dafür, daß
die Familie Uthmann überzeugt war, daß der Kurfürst
ihr das Privileg auch weiterhin verlängern würde. Das
florierende Hüttenwerk mit seinen guten Gewinnen war den Gewerken
ein Dorn im Auge, die ihr Schwarzkupfer zu festgelegten Preisen
dorthin verkaufen mußten. Sie beschwerten sich wegen der Preise
und dem Geschäftsgebaren der Familie Uthmann. Kurfürst
August I. kamen diese Beschwerden sehr gelegen, da ihn der Gewinn
reizte. Er lehnte eine erneute Verlängerung des Privilegs ab
mit der Begründung, selbst saigern zu wollen. Damit nahm er
der Hütte die Rohstoffgrundlage und erzwang durch Vertrag vom
6. August 1567 den Verkauf. Dabei nutzte er seine Macht aus, indem
er das auf 13665 Gulden geschätzte Anwesen mit 8000 Gulden
und die Metallvorräte mit 1680 Gulden 156 Groschen und 11 Pfennigen
bezahlte. Damit enden 13 erfolgreiche Jahre des Betriebs der Saigerhütte
durch die Familie Uthmann. Der Sohn Paul, der in Grünthal gewohnt
hatte, zog sich auf das in Familienbesitz befindliche Böhmische
Grünthal zurück. 12 Jahre später wurde er vom Kurfürsten
zurückgerufen, um die Saigerhütte als Faktor zu leiten23.
Wie Barbara mit ihren Kindern
das Schmelzwesen mit hohen Fertigkeiten gefördert und wie sie
ihre Geschäftsinteressen auch dem Landesherrn gegenüber
verfochten hat, nötigen uns auch heute noch Achtung ab.
Etwa zur gleichen Zeit, zu
der Barbara die Kupferhütte erbte, hielten auch Bortenherstellung
und Spitzenklöppelei ihren Einzug ins Erzgebirge. Der Bergbau
stand noch in voller Blüte, wie die Ausbeuteverzeichnisse dieser
Zeit belegen. Die Ballung der Menschen in den Bergstädten,
die Differenziertheit und das Einkommen ihrer Bürger benötigten
unter anderem auch ein starkes Textilgewerbe, das die Bedürfnisse
nach Kleidung und Luxus befriedigte. Wie andere Frauen von Bergherren
erkannte auch Barbara mit unternehmerischem Weitblick die sich zusätzlich
zum Berg- und Hüttenwesen bietenden Gewinnmöglichkeiten
und baute eine umfangreiche Verlagsproduktion von Borten auf. Sie
stellte Frauen und Mädchen das zur Herstellung von Borten benötigte
Material zur Verfügung, nahm die fertige Ware gegen Entlohnung
entgegen und organisierte deren Verkauf. Das Unternehmen florierte
so gut, daß sie zeitweise 900 Bortenwirkerinnen beschäftigte.
Mit dem Rückgang des Bergbaus stellte sich zunehmend eine Notlage
unter der Bevölkerung ein, und der Absatz der Borten ging stark
zurück. Barbara war wie andere gezwungen, nach und nach die
Arbeiterinnen zu entlassen, bis sie den Bortenhandel völlig
aufgab.
Es soll nun der Frage nachgegangen
werden, ob Barbara Uthmann das Klöppeln erfunden oder wenigstens
in Annaberg eingeführt hat.
Zunächst muß man
sich mit der Entstehung der erzgebirgischen Posamentenarbeit oder
Bortenwirkerei und des Klöppelns sowie des Handels mit den
Erzeugnissen beschäftigen, lesen, was darüber berichtet
wird, und diese Zeugnisse prüfen. Die Angaben über die
Entstehung sind spärlich. Einer oft wiederholten Mitteilung
zufolge soll das Klöppeln 1561 aufgekommen sein. Diese Angabe
stützt sich auf den Annaberger Chronisten Paulus Jenisius.
In seiner Annaberger Chronik berichtet er unter dem Jahr 1561 "Um
diese Zeit kam das Klöppelwerk von weißem gebleichten
Zwirn in dieser gebirgigen Gegend auf, und wurd Borten, Kronen und
Zancken zu machen angefangen.“24.Von jeher wurde diese
Stelle und sicher mit Recht in dem angegebenen Sinn aufgefaßt.
Von einem Verdienst Barbara Uthmanns berichtet er allerdings nichts.
Später soll sich das Posamentiergewerbe hinzugesellt haben.
Es sei 1589 durch Georg Einenkel in Buchholz eingeführt worden,
von wo aus es nach Annaberg gelangt ist. Es könnte also von
Spitzen- und Posamentenherstellung und dem dadurch ins Leben gerufenen
Handel Annabergs nicht vor dem Jahr 1561 bzw. 1589 die Rede sein.
Dem stehen aber folgende Tatsachen
entgegen: Bereits 1560 hatte die Kurfürstin-Mutter, Anna, bei
der Christoph Uthmannin etliche Borten bestellt, wie ein Schreiben
der Kurfürstin vom 9. Oktober 1560 besagt. Außerdem nennt
uns ein durch den Annaberger Rat gefordertes und von 17 den allerersten
Kreisen der Stadt zugehörigen Bortenhändlerinnen abgegebenes
Gutachten, der Zeit vor dem 22. Oktober 1571 entstammend, eine „Paul
ihenischin“, die damals „solchen Borttenhandel in Zwentzigk Jahr“
getrieben, und eine Johann Widmannin, welche „auch etwo vil ihar
mit Borten gehandelt“. Da die Borten in Annaberg gefertigt wurden,
ergibt sich der Beweis, daß Bortenherstellung und Bortenhandel
bereits um 1550 existierten. Was aber wurde damals in Annaberg hergestellt?
Was ist unter den um 1550 gefertigten Borten zu verstehen?
Keinesfalls dürfen wir dabei an
Erzeugnisse der Klöppelkunst denken. Jenisius ist ein überaus
gewissenhafter Chronist, der nicht das Jahr 1761 als Entstehungsjahr
der Klöppelei hingestellt hätte, wenn er nicht von der
Richtigkeit seiner Angabe mit Bestimmtheit überzeugt gewesen
wäre. Genaue Kunde darüber zu erlangen, war für ihn
nicht schwer. Er hatte als Knabe das Aufkommen der Spitzenklöppelei
und der Bortenwirkerei selbst erlebt. Beim Schreiben seiner Chronik
war er in Annaberg als Konrektor und später Rektor der Lateinschule
angestellt und stand nachweislich mit Familien im Verkehr, in deren
Händen der Handel seit längerer Zeit ruhte. Außerdem
lebte seine Stiefmutter Margarethe, jene oben erwähnte Paul
Jenischin, zu dieser Zeit bei ihm, welche seit etwa 1550 mit Borten
gehandelt hatte und über die einzelnen Phasen der Herstellung
und des Handels orientiert war, wie kaum eine andere. An der Angabe
des Jenisius läßt sich darum auf keinen Fall zweifeln.
Das bereits erwähnte Gutachten
Annaberger Frauen spricht von Bortenwirkerinnen und Klipplerinnen.
In einer an den Rat gerichteten Bittschrift "der gantzen Samblunge
der Kramer sembtlichen und sonderlichen“ vom Oktober 1571 ist von
"wirken“ und "klippeln“ der "Bortten“ die Rede, wird von "Borten
wirken“ und "klippeln“ als von "Weyblicher arebeytt“ gesprochen.
Ebenso lesen wir in einem Bericht des Annaberger Rates an die Regierung
vom 16. September 1586, der sich mit dem Stand der Industrie in
früherer Zeit beschäftigt, von "wircken“ und "kluppeln“,
von "wirklade“ und "Klippelkussen“, an denen "die arbeiterin“, ",wirckerin
und Kliplerin“, "Porten ferdigen“. Daß die Ausdrücke
Bortenwirken und Bortenwirkerinnen nicht etwa identisch sind mit
Klöppeln und Klöpplerinnen, daß Bortenwirken nicht
etwa synonym für Bortenmachen gebraucht wird, zeigen die Akten
auf das deutlichste, beweist die Hindeutung auf das doppelte Arbeitsgerät
Wirklade und Klöppelkissen. Will man den Ausdrücken nicht
Gewalt antun, so muß man sie dem Sinn der damaligen Zeit entsprechend
deuten und unter Wirklade die Bortenlade, unter Bortenwirken und
Bortenwirkerinnen die Herstellung bzw. die Herstellerinnen gewirkter
Borten verstehen.
Damit ist nachgewiesen, was
zunächst vor 1561 in Annaberg hergestellt wurde. Da von einer
dritten Art der Bortenherstellung, etwa vom Nähen oder Sticken
der Borten, in den Akten nirgends die Rede ist, wird deutlich, daß
die Herstellung gewirkter Borten früher erfolgte als das Klöppeln.
Selbst dann, als bereits geklöppelt
wurde, muß das Bortenwirken noch eine Zeit lang die Hauptbeschäftigung
gewesen sein. In der erwähnten Krämerbittschrift von 1571
heißt es, es hätten sich "von dem Bortenwirken ihe souil
Leutte als von dem Perckwerck neeren mussen“, und auch an anderen
Stellen, wo vom Wirken und Klöppeln die Rede ist. wird jenes
vor diesem betont.
Das mehrfach erwähnte
Gutachten Annaberger Frauen von 1571, "aus waser vrsachen doch der
Borttenhandel in diser Stad so gantz vnd gar in abfal gerate“, enthält
eine Stelle über Barbara Uthmann, die an Bedeutung alles übertrifft,
was sonst von ihrer Beziehung zum Bortenhandel bekannt ist. In dem
"wahrhaftigen Bericht, den sie wohl zu erweisen haben“, schreiben
die Frauen: "Deß sollen E.E.R. eigentlichen vnd warhafftig
berichtt sein, das die Erbare Frau Vtmanin allein in neunhunndert
Personen Borttenwirkerin gefurddertt. Volgend hat es ymer abgenommen,
biß es letzlich auf 8., 7, 5., 4. vnd dreyhundert vnd noch
weniger worden, biß es entlichen dohin gedien, das sie gar
dauon ablasen musen. Welches solchen armen personen die also gefurddertt
worden sind, gar ein groser vnd vnuerwindlicher nachtheil worden
ist“. So kurz die Stelle ist, so ist doch ihr Inhalt vielsagend.
Ganz abgesehen davon, daß sie uns zeigt, welche Ausdehnung
das industrielle und merkantile Unternehmen Barbara Uthmanns gewonnen
hatte, abgesehen davon, daß die Stelle zeigt, wie das Bortengeschäft
bereits zu ihren Lebzeiten allmählich in Verfall geriet, so
daß sie es ein paar Jahre vor ihrem Tod bereits völlig
aufgegeben hatte, so ist die Stelle von Wichtigkeit, weil in ihr
gesagt wird, wie sie nur einerlei Arbeiterinnenm, und zwar nicht
etwa Klöpplerinnen, Näherinnen oder Strickerinnen, sondern
Wirkerinnen, beschäftigte. Die Worte "in 900 Bortenwirkerinnen“
heißen nicht "außer den Klöpplerinnen“. Der Ausdruck
Bortenwirkerinnen hat auch hier nicht gleiche Bedeutung wie Arbeiterinnen
im allgemeinen, sondern besitzt eine spezifische Bedeutung. Das
Aktenstück unterscheidet, wie bereits angedeutet, auf das genaueste
zwischen Bortenwirkerinnen und Klöpplerinnen, denn betreffs
der Paul Jenischin, mit deren Geschäftslage sich das Schriftstück
anschließend befaßt, heißt es ausdrücklich,
sie habe in die 600 Personen "Borttenwirckerin vnd klipplerin gefurddert“.
Welchen Sinn aber das Wort Bortenwirkerinnen hat, kann nach dem
bereits Erklärten nicht fraglich sein. Somit steht fest, daß
Barbara Uthmann gewirkte Borten fertigen ließ und damit handelte.
Nicht die leiseste Andeutung jedoch enthält das Aktenstück,
daß sie daneben habe klöppeln lassen. Auf Grund dessen
ist die Behauptung falsch, Barbara Uthmann habe das Klöppeln
erfunden oder doch eingeführt.
Mit Spitzen bringt sie zuerst
der Scheibenberger Pastor Christian Lehmann in dem 1699 erschienenen
"Historischen Schauplatz des Meißnischen Ober-Ertzgebirges“
in Verbindung. Unter der Rubrik "Allerley Merckwürdigkeiten
von Alten Leuten“ führt er bei dem Abschnitt "Von alter Leute
Kinder-Segen“, wobei ihm als Hauptsache gilt, bejahrte Personen
mit möglichst zahlreicher Nachkommenschaft vorzuführen,
auch Barbara Uthmann an und berichtet, "daß sie 64 Kind- und
Kindes-Kinder erlebet und die Erfinderin des Spitzenhandels gewesen“.
Freilich ist die letzte Bemerkung nur beiläufig getan, und
Lehmann ist bei seiner Angabe recht wenig sicher; denn unter den
"Errata, so durch den Druck eingeschlichen“, wird der großgünstige
Leser ersucht, statt Uttmann "Ulmann“ zu setzen. Und genau so steht
es in der 1747 unter dem Titel "Ausführliche Beschreibung des
Meißnischen Ober-Ertzgebürges“ erschienenen weiteren
Auflage des Werkes. Einen weiteren Bericht finden wir bei Christian
Melzer mit dessen 1716 gedruckter "Erneuten Stadt- und Bergchronik
der Bergstadt Schneeberg“. Da heißt es, wo von dem „Aufkommen
des Klöppelns unter der daher rührenden Spitzen-Handlung
im Meißnischen Obererzgebirge“ gesprochen wird, "wie für
die Erfinderin derselben Barbara, Christoph Uttmanns Weib und folgends
Witbe zu St.Annaberg gehalten wird“. Die Vorsicht, mit welcher Melzer
sich ausdrückt, beweist, daß er seine Angabe nicht mit
urkundlichen Belegen bestätigen konnte. Vielleicht schöpfte
er aus der Tradition. Dann aber gab es noch eine andere mündliche
Überlieferung. 1719 äußern sich Viertelmeister und
Kramerschaft zu Annaberg in einer Eingabe an den Rat: "Man will
vor Gewiß sagen, daß sogar die ersten Spitzen durch
einen Annaberger fabriciret sein sollen; es ist auch solches gar
wohl Zuglauben, weilen nicht unbekandt, daß fast der Anfang
dieses Spitzen-Handels von denen Annabergern herstammet, welche
sie am ersten in frembde Länder geführet haben, dahero
auch viele, so solchen Handel nachgeahmet, sich an frembden Orten
alle von Annabergk genennet haben, ob sie schon 1 biß 2 Meilen
davon gewohnet haben“. Diese Mitteilung, welche sich nicht etwa
auf die Entstehung des Spitzenklöppelns und des Spitzenhandels
überhaupt, sondern nur auf das Aufkommen dieser Erwerbszweige
im Erzgebirge bezieht, nennt einen Mann, welcher diese Produktion
einführte, und behauptet nicht einmal mit Bestinmnmtheit, daß
die Anfänge des Spitzenhandels in Annaberg zu suchen sind25.
Wenn heute immer noch an der
bekannten Ansicht über Barbara Uthmann festgehalten, ja diese
durch Publikationen, in den Schulen und bei Führungen in Museen
immer weiter verbreitet wird, so beruht dies nicht etwa auf der
Erschließung neuer, untrüglicher Quellen, sondern hat
es seinen Grund darin, daß immer wieder Menschen die Behauptung,
die Uthmann habe das Klöppeln eingeführt oder gar erfunden,
aufstellten, und diese nahmen ruhig hin und gaben es für gewisseste
Wahrheit aus, was früher wenige als Möglichkeit hinstellten.
Die erste Frau, von welcher
wir mit Bestimmtheit wissen, daß sie klöppeln ließ,
ist die mehrerwähnte Margarethe Jenisch.
Barbara Uthmnann war immer
um das Wohlergehen ihrer Kinder bemüht. Bis auf den Sohn Marcus
hatten alle ihren Weg ins Leben gefunden. Er war ein Mensch, der
außer mit dem Schuldturm auch mit dem Gefängnis Bekanntschaft
machte, "weil er sich mit Aufborgen und Ansetzen der Leute, sowie
auch sonst leichtfertig verhalten“. Deshalb ließ Barbara das
1564 für 550 Gulden gekaufte Haus in der Großen Kirchgasse
(heute Nr. 17) auf Ehefrau Catharina und Kinder von Marcus überschreiben,
mit der Festlegung, daß seine Gläubiger keinerlei Recht
auf dieses Haus erlangen könnten26. Am 9 Januar
1565 kaufte Barbara ein Haus in der Großen Kirchgasse27
(heute Nr. 10), das sie gemeinsam mit der Tochter Ottilia bewohnte.
Wenige Jahre später lernte Ottilia Ludwig Cammermeister, Camerarius
genannt, kennen28. Ludwig war Arzenei Doctor und Medicus
practicus und ein Sohn des berühmten Humanisten und Professor
der Leipziger Universität Joachim Camerarius. 1571 erklagte
Barbara einen Garten (heute Barbara-Uttmnann-Platz Ecke Scherbank)
von Peter Hempels Witwe wegen darauf lastender 120 Gulden29.
Ebenso kaufte Barbara in den Jahren 1570 und 1571 drei Grundstücke
am oberen Ende der Siebenhäusergasse30,31,32 (heute
Nr. 24, 26 und 28). Auf diesen Grundstücken legte Ludwig Camerarius
den ersten Annaberger Botanischen Garten an.
Als Barbara Uthmann am 15.
Januar 1575 starb33, wurde sie mit großen Ehren
auf dem Annaberger Friedhof beigesetzt. Sie hinterließ ein
Lebenswerk, das in der Geschichte der Stadt Annaberg seinesgleichen
sucht.
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