Barbara Uthmann und ihre Zeit
von Reinhart Unger
Barbara Uthmann und ihre Zeit
Von Reinhart Unger
Wenn wir heute immer noch das Andenken an Barbara Uthmann wach halten, hat das nicht nur seinen Grund in den vielen Legenden, die im Laufe der Jahrhunderte um ihre Person gewoben wurden, sondern wir ehren sie auch stellvertretend für alle Menschen, die in den ersten hundert Jahren des Bestehens der Stadt Annaberg den Grundstein für die Größe, den Reichtum und den Ruf dieser Stadt in Deutschland und darüber hinaus legten.

In diesem Beitrag soll versucht werden, das Bild der Barbara Uthmann historisch genau zu zeichnen und von Mutmaßungen und unbeweisbaren Behauptungen Abstand zu nehmen.

Der Großvater Barbaras, Johann vom Elterlein, stammte aus Elterlein, wo er gemeinsam mit Hans Hünerkopf erfolgreich Bergbau auf Silber betrieb1. Unmittelbar nach dem Beschluß der herzoglichen Kommission vom 21. September 1496, am Fuße des Pöhlbergs eine Stadt anzulegen, führte er die Kaufverhandlungen mit dem Richter von Rückerswalde wegen eines Großteils der Flur, auf dem die Neustadt erbaut wurde2. Nach dem Bau der ersten Häuser beschloß auch Johann vom Elterlein, seinen Wohnsitz zu wechseln. Er baute sich ein Haus auf der Klostergasse3 (heute Klosterstraße 7) und bezog es mit seiner Frau Margaretha, seinen Kindern Heinrich und Katharina und dem Stiefsohn Wolfgang. Auch in der Neustadt betrieb er Bergbau. So wird er z.B. am 1. März 1499 als Schichtmeister der 2. und 3. Maaß nach dem Gegendrum der 10000 Ritter erwähnt4 . Am 27. April 1500 wird er zum ersten Mal namentlich als „richter uff der Neustadt genannt5. Das Richteramt übte Johann vom Elterlein bis zum 1. Mai 1505 aus6. Als er 1516 starb und in der Annenkirche beigesetzt wurde7, hinterließ er seiner Familie ein beträchtliches Vermögen.

Heinrich vom Elterlein, der Vater Barbaras, verwaltete und vermehrte mit viel Geschick das ererbte Vermögen. Wie schon sein Vater und die meisten seiner Zeitgenossen betrieb er Bergbau, - d.h. er kaufte Kuxe von verschiedenen ertragreichen Gruben, leistete somit seinen finanziellen Beitrag zum Betreiben der Bergwerke und war dadurch natürlich auch am Gewinn beteiligt. Daneben kaufte und verkaufte er gewinnbringend Häuser in Annaberg.

An dieser Stelle muß auf die Meinung, wonach Heinrich vom Elterlein erst 1526 nach Annaberg gezogen sei und seine Tochter Barbara demzufolge in Elterlein geboren wurde, eingegangen werden. Viele Einträge in den Annaberger Ratsakten belegen einen früheren Zuzug. So schulden am 3.9.1507 „die herrn zcum Elterlin“ den Erben von Hans Breuer Geld für Wein8. Am 3.10.1511 wird Heinrich mit Äckern und Wiesen belehnt, die er von Michel Walt für 140 fl. baren Geldes gekauft hat9. Die Angabe von Harms zum Spreckel, Heinrich sei um 1485 geboren, bedeutet, daß er beim Umzug seines Vaters minderjährig war.

1526 wurde er von Herzog Georg als Zehntner berufen10. In diesem Amt war er zuständig für die Errechnung, Einnahme und Abführung des zehnten Teils aus den Einkünften aller Gruben des Annaberger Reviers, die an den Landesherrn abgeführt werden mußten. 1533 wurde er aus dem Amt entsetzt11. Der Grund hierfür ist nicht bekannt. Um 1510 heiratete Heinrich vom Elterlein Ottilie Arnolt aus Chemnitz12,13,14. Aus dieser Ehe gingen 9 Kinder, 5 Töchter und 4 Söhne, hervor. Sein Vermögen, das 1530 mit 5000 Gulden veranschlagt wurde15, ermöglichte ihm und seiner Familie ein Leben in Wohlstand und gestattete den Kindern eine hervorragende Schulbildung. So nimmt z.B. der Sohn Georg 1524 Rechenunterricht bei Adam Ries. 1519 kaufte Heinrich vom Elterlein von der Witwe des Bürgermeisters Philipp Weinbeer für 1800 Gulden ein Haus am Markt16 (heute Buchholzer Straße 2), in das er mit der Familie 1520 einzieht. Als er kurz vor seinem Tod 1539 noch einmal seinen Wohnsitz wechselt und in das für 1600 Gulden gekaufte Haus in der Klostergasse (heute Klosterstraße 5) umzieht17, weiß er seine Familie in gesicherten finanziellen Verhältnissen.

Um 1514 wurde Heinrich vom Elterlein die Tochter Barbara geboren. Ihre genauen Geburtsdaten lassen sich nicht mehr ermitteln, weil die Taufbücher aus dieser Zeit verlorengegangen sind. Ihre Kindheit war bereits geprägt durch Bergbau und das dadurch erheblich geförderte Aufblühen der jungen Bergstadt. Im Haus ihres Vaters, des Zehntners, gingen alle Bergherren ein und aus. So begegnete ihr auch der 7 Jahre ältere Christoph Uthmann, der von Löwenberg in Schlesien hierher gezogen war. 1529 heirateten beide18 und zogen 1531 in ihr vom Vater gekauftes Haus19 (heute Museumsgasse 1). Vier Jahre später bezog die Familie das für 1000 Gulden gekaufte repräsentative Wohnhaus am Markt20 (heute Markt 8). Ihrer Ehe entsprossen 12 Kinder.

Christoph Uthmann war ein sehr erfolgreicher Berg- und Hüttenherr. Er war an der ertragreichsten Grube des Annaberger Reviers, Himmlisch Heer, als bauender Gewerke beteiligt, besaß die Kupfergrube St. Briccius hinter dem Pöhlberg, ein Pochwerk an der Pöhla und mehrere Hütten. Die aus dem Bergwerk fließenden großen Einnahmen gestatteten Christoph, sich immer neuen Unternehmen zuzuwenden. Am 24. Juni 1537 hatte der Bergmeister Hans Linhart, übrigens der Ehemann einer Cousine Barbaras, von Hans und Christoph von Berbisdorf einen Raum bei Olbernhau gekauft zwecks Errichtung eines Hüttenwerks zur Saigerung von Schwarzkupfer der benachbarten sächsischen und böhmischen Bergwerke, besonders der zu Annaberg, Schneeberg, Elterlein, Freiberg und Katharinenberg in Böhmen. Dieses Werk übernahm Christoph im Jahr 1550 käuflich21. Um das Saigerwerk gewinnbringend zu gestalten, hatte er sich ein Privileg verschafft, wonach ihm von allen Kupferzechen die Erze zu einem vom Landesherrn festgesetzten Preis abgetreten werden mußten.

Als Christoph am 11. September 155322 plötzlich starb, stand Barbara vor der Aufgabe, die Unternehmen ihres Mannes weiterzuführen. Obwohl es zur damaligen Zeit üblich war, für Witwen einen Vormund einzusetzen, konnte Barbara gemeinsam mit ihren Kindern durchsetzen, daß in ihrem Fall darauf verzichtet wurde. Mit den Söhnen Hans, Heinrich und Paul und dem Schwiegersohn Hans Biener beschloß sie, die äußerst gewinnbringende Saigerhütte in Grünthal weiterzubetreiben. Barbara beantragte bei Kurfürst August I. die Verlängerung des Kupfermonopols. Er überließ am 24. Juli 1554 für ein Jahr das Recht zum Aufkauf allen silberhaltigen Schwarzkupfers zur Trennung des Silbers vom Garkupfer. Nach einem Jahr wurde dieses Privileg um weitere drei Jahre verlängert. Jährliche Festlegungen regelten den Preis für die aufzukaufenden Erze. Nach Ablauf der Frist beantragte Barbara eine erneute Verlängerung des Kupfermonopols. Dem stimmte August I. zu, indem er verfügte, daß Christoph Uthmanns "nachgelassen Witwen und Kindern, ... weil sie sich um diesen Handel allbereit dermaßen geschickt, das sie denselben mehrer theils durch ihre Kinder bestellen könnte“. Dieses Mal belief sich die Verlängerung auf acht Jahre, aber jährlich mußte dafür eine Summe von 500 Talern an den Kurfürsten gezahlt werden. Erhebliche Investitionen in den folgenden Jahren beweisen, daß die Saigerhütte reichen Gewinn erwirtschaftete. Sie sprechen aber auch dafür, daß die Familie Uthmann überzeugt war, daß der Kurfürst ihr das Privileg auch weiterhin verlängern würde. Das florierende Hüttenwerk mit seinen guten Gewinnen war den Gewerken ein Dorn im Auge, die ihr Schwarzkupfer zu festgelegten Preisen dorthin verkaufen mußten. Sie beschwerten sich wegen der Preise und dem Geschäftsgebaren der Familie Uthmann. Kurfürst August I. kamen diese Beschwerden sehr gelegen, da ihn der Gewinn reizte. Er lehnte eine erneute Verlängerung des Privilegs ab mit der Begründung, selbst saigern zu wollen. Damit nahm er der Hütte die Rohstoffgrundlage und erzwang durch Vertrag vom 6. August 1567 den Verkauf. Dabei nutzte er seine Macht aus, indem er das auf 13665 Gulden geschätzte Anwesen mit 8000 Gulden und die Metallvorräte mit 1680 Gulden 156 Groschen und 11 Pfennigen bezahlte. Damit enden 13 erfolgreiche Jahre des Betriebs der Saigerhütte durch die Familie Uthmann. Der Sohn Paul, der in Grünthal gewohnt hatte, zog sich auf das in Familienbesitz befindliche Böhmische Grünthal zurück. 12 Jahre später wurde er vom Kurfürsten zurückgerufen, um die Saigerhütte als Faktor zu leiten23.

Wie Barbara mit ihren Kindern das Schmelzwesen mit hohen Fertigkeiten gefördert und wie sie ihre Geschäftsinteressen auch dem Landesherrn gegenüber verfochten hat, nötigen uns auch heute noch Achtung ab.

Etwa zur gleichen Zeit, zu der Barbara die Kupferhütte erbte, hielten auch Bortenherstellung und Spitzenklöppelei ihren Einzug ins Erzgebirge. Der Bergbau stand noch in voller Blüte, wie die Ausbeuteverzeichnisse dieser Zeit belegen. Die Ballung der Menschen in den Bergstädten, die Differenziertheit und das Einkommen ihrer Bürger benötigten unter anderem auch ein starkes Textilgewerbe, das die Bedürfnisse nach Kleidung und Luxus befriedigte. Wie andere Frauen von Bergherren erkannte auch Barbara mit unternehmerischem Weitblick die sich zusätzlich zum Berg- und Hüttenwesen bietenden Gewinnmöglichkeiten und baute eine umfangreiche Verlagsproduktion von Borten auf. Sie stellte Frauen und Mädchen das zur Herstellung von Borten benötigte Material zur Verfügung, nahm die fertige Ware gegen Entlohnung entgegen und organisierte deren Verkauf. Das Unternehmen florierte so gut, daß sie zeitweise 900 Bortenwirkerinnen beschäftigte. Mit dem Rückgang des Bergbaus stellte sich zunehmend eine Notlage unter der Bevölkerung ein, und der Absatz der Borten ging stark zurück. Barbara war wie andere gezwungen, nach und nach die Arbeiterinnen zu entlassen, bis sie den Bortenhandel völlig aufgab.

Es soll nun der Frage nachgegangen werden, ob Barbara Uthmann das Klöppeln erfunden oder wenigstens in Annaberg eingeführt hat.

Zunächst muß man sich mit der Entstehung der erzgebirgischen Posamentenarbeit oder Bortenwirkerei und des Klöppelns sowie des Handels mit den Erzeugnissen beschäftigen, lesen, was darüber berichtet wird, und diese Zeugnisse prüfen. Die Angaben über die Entstehung sind spärlich. Einer oft wiederholten Mitteilung zufolge soll das Klöppeln 1561 aufgekommen sein. Diese Angabe stützt sich auf den Annaberger Chronisten Paulus Jenisius. In seiner Annaberger Chronik berichtet er unter dem Jahr 1561 "Um diese Zeit kam das Klöppelwerk von weißem gebleichten Zwirn in dieser gebirgigen Gegend auf, und wurd Borten, Kronen und Zancken zu machen angefangen.“24.Von jeher wurde diese Stelle und sicher mit Recht in dem angegebenen Sinn aufgefaßt. Von einem Verdienst Barbara Uthmanns berichtet er allerdings nichts. Später soll sich das Posamentiergewerbe hinzugesellt haben. Es sei 1589 durch Georg Einenkel in Buchholz eingeführt worden, von wo aus es nach Annaberg gelangt ist. Es könnte also von Spitzen- und Posamentenherstellung und dem dadurch ins Leben gerufenen Handel Annabergs nicht vor dem Jahr 1561 bzw. 1589 die Rede sein.

Dem stehen aber folgende Tatsachen entgegen: Bereits 1560 hatte die Kurfürstin-Mutter, Anna, bei der Christoph Uthmannin etliche Borten bestellt, wie ein Schreiben der Kurfürstin vom 9. Oktober 1560 besagt. Außerdem nennt uns ein durch den Annaberger Rat gefordertes und von 17 den allerersten Kreisen der Stadt zugehörigen Bortenhändlerinnen abgegebenes Gutachten, der Zeit vor dem 22. Oktober 1571 entstammend, eine „Paul ihenischin“, die damals „solchen Borttenhandel in Zwentzigk Jahr“ getrieben, und eine Johann Widmannin, welche „auch etwo vil ihar mit Borten gehandelt“. Da die Borten in Annaberg gefertigt wurden, ergibt sich der Beweis, daß Bortenherstellung und Bortenhandel bereits um 1550 existierten. Was aber wurde damals in Annaberg hergestellt? Was ist unter den um 1550 gefertigten Borten zu verstehen?
Keinesfalls dürfen wir dabei an Erzeugnisse der Klöppelkunst denken. Jenisius ist ein überaus gewissenhafter Chronist, der nicht das Jahr 1761 als Entstehungsjahr der Klöppelei hingestellt hätte, wenn er nicht von der Richtigkeit seiner Angabe mit Bestimmtheit überzeugt gewesen wäre. Genaue Kunde darüber zu erlangen, war für ihn nicht schwer. Er hatte als Knabe das Aufkommen der Spitzenklöppelei und der Bortenwirkerei selbst erlebt. Beim Schreiben seiner Chronik war er in Annaberg als Konrektor und später Rektor der Lateinschule angestellt und stand nachweislich mit Familien im Verkehr, in deren Händen der Handel seit längerer Zeit ruhte. Außerdem lebte seine Stiefmutter Margarethe, jene oben erwähnte Paul Jenischin, zu dieser Zeit bei ihm, welche seit etwa 1550 mit Borten gehandelt hatte und über die einzelnen Phasen der Herstellung und des Handels orientiert war, wie kaum eine andere. An der Angabe des Jenisius läßt sich darum auf keinen Fall zweifeln.

Das bereits erwähnte Gutachten Annaberger Frauen spricht von Bortenwirkerinnen und Klipplerinnen. In einer an den Rat gerichteten Bittschrift "der gantzen Samblunge der Kramer sembtlichen und sonderlichen“ vom Oktober 1571 ist von "wirken“ und "klippeln“ der "Bortten“ die Rede, wird von "Borten wirken“ und "klippeln“ als von "Weyblicher arebeytt“ gesprochen. Ebenso lesen wir in einem Bericht des Annaberger Rates an die Regierung vom 16. September 1586, der sich mit dem Stand der Industrie in früherer Zeit beschäftigt, von "wircken“ und "kluppeln“, von "wirklade“ und "Klippelkussen“, an denen "die arbeiterin“, ",wirckerin und Kliplerin“, "Porten ferdigen“. Daß die Ausdrücke Bortenwirken und Bortenwirkerinnen nicht etwa identisch sind mit Klöppeln und Klöpplerinnen, daß Bortenwirken nicht etwa synonym für Bortenmachen gebraucht wird, zeigen die Akten auf das deutlichste, beweist die Hindeutung auf das doppelte Arbeitsgerät Wirklade und Klöppelkissen. Will man den Ausdrücken nicht Gewalt antun, so muß man sie dem Sinn der damaligen Zeit entsprechend deuten und unter Wirklade die Bortenlade, unter Bortenwirken und Bortenwirkerinnen die Herstellung bzw. die Herstellerinnen gewirkter Borten verstehen.

Damit ist nachgewiesen, was zunächst vor 1561 in Annaberg hergestellt wurde. Da von einer dritten Art der Bortenherstellung, etwa vom Nähen oder Sticken der Borten, in den Akten nirgends die Rede ist, wird deutlich, daß die Herstellung gewirkter Borten früher erfolgte als das Klöppeln.
Selbst dann, als bereits geklöppelt wurde, muß das Bortenwirken noch eine Zeit lang die Hauptbeschäftigung gewesen sein. In der erwähnten Krämerbittschrift von 1571 heißt es, es hätten sich "von dem Bortenwirken ihe souil Leutte als von dem Perckwerck neeren mussen“, und auch an anderen Stellen, wo vom Wirken und Klöppeln die Rede ist. wird jenes vor diesem betont.

Das mehrfach erwähnte Gutachten Annaberger Frauen von 1571, "aus waser vrsachen doch der Borttenhandel in diser Stad so gantz vnd gar in abfal gerate“, enthält eine Stelle über Barbara Uthmann, die an Bedeutung alles übertrifft, was sonst von ihrer Beziehung zum Bortenhandel bekannt ist. In dem "wahrhaftigen Bericht, den sie wohl zu erweisen haben“, schreiben die Frauen: "Deß sollen E.E.R. eigentlichen vnd warhafftig berichtt sein, das die Erbare Frau Vtmanin allein in neunhunndert Personen Borttenwirkerin gefurddertt. Volgend hat es ymer abgenommen, biß es letzlich auf 8., 7, 5., 4. vnd dreyhundert vnd noch weniger worden, biß es entlichen dohin gedien, das sie gar dauon ablasen musen. Welches solchen armen personen die also gefurddertt worden sind, gar ein groser vnd vnuerwindlicher nachtheil worden ist“. So kurz die Stelle ist, so ist doch ihr Inhalt vielsagend. Ganz abgesehen davon, daß sie uns zeigt, welche Ausdehnung das industrielle und merkantile Unternehmen Barbara Uthmanns gewonnen hatte, abgesehen davon, daß die Stelle zeigt, wie das Bortengeschäft bereits zu ihren Lebzeiten allmählich in Verfall geriet, so daß sie es ein paar Jahre vor ihrem Tod bereits völlig aufgegeben hatte, so ist die Stelle von Wichtigkeit, weil in ihr gesagt wird, wie sie nur einerlei Arbeiterinnenm, und zwar nicht etwa Klöpplerinnen, Näherinnen oder Strickerinnen, sondern Wirkerinnen, beschäftigte. Die Worte "in 900 Bortenwirkerinnen“ heißen nicht "außer den Klöpplerinnen“. Der Ausdruck Bortenwirkerinnen hat auch hier nicht gleiche Bedeutung wie Arbeiterinnen im allgemeinen, sondern besitzt eine spezifische Bedeutung. Das Aktenstück unterscheidet, wie bereits angedeutet, auf das genaueste zwischen Bortenwirkerinnen und Klöpplerinnen, denn betreffs der Paul Jenischin, mit deren Geschäftslage sich das Schriftstück anschließend befaßt, heißt es ausdrücklich, sie habe in die 600 Personen "Borttenwirckerin vnd klipplerin gefurddert“. Welchen Sinn aber das Wort Bortenwirkerinnen hat, kann nach dem bereits Erklärten nicht fraglich sein. Somit steht fest, daß Barbara Uthmann gewirkte Borten fertigen ließ und damit handelte. Nicht die leiseste Andeutung jedoch enthält das Aktenstück, daß sie daneben habe klöppeln lassen. Auf Grund dessen ist die Behauptung falsch, Barbara Uthmann habe das Klöppeln erfunden oder doch eingeführt.

Mit Spitzen bringt sie zuerst der Scheibenberger Pastor Christian Lehmann in dem 1699 erschienenen "Historischen Schauplatz des Meißnischen Ober-Ertzgebirges“ in Verbindung. Unter der Rubrik "Allerley Merckwürdigkeiten von Alten Leuten“ führt er bei dem Abschnitt "Von alter Leute Kinder-Segen“, wobei ihm als Hauptsache gilt, bejahrte Personen mit möglichst zahlreicher Nachkommenschaft vorzuführen, auch Barbara Uthmann an und berichtet, "daß sie 64 Kind- und Kindes-Kinder erlebet und die Erfinderin des Spitzenhandels gewesen“. Freilich ist die letzte Bemerkung nur beiläufig getan, und Lehmann ist bei seiner Angabe recht wenig sicher; denn unter den "Errata, so durch den Druck eingeschlichen“, wird der großgünstige Leser ersucht, statt Uttmann "Ulmann“ zu setzen. Und genau so steht es in der 1747 unter dem Titel "Ausführliche Beschreibung des Meißnischen Ober-Ertzgebürges“ erschienenen weiteren Auflage des Werkes. Einen weiteren Bericht finden wir bei Christian Melzer mit dessen 1716 gedruckter "Erneuten Stadt- und Bergchronik der Bergstadt Schneeberg“. Da heißt es, wo von dem „Aufkommen des Klöppelns unter der daher rührenden Spitzen-Handlung im Meißnischen Obererzgebirge“ gesprochen wird, "wie für die Erfinderin derselben Barbara, Christoph Uttmanns Weib und folgends Witbe zu St.Annaberg gehalten wird“. Die Vorsicht, mit welcher Melzer sich ausdrückt, beweist, daß er seine Angabe nicht mit urkundlichen Belegen bestätigen konnte. Vielleicht schöpfte er aus der Tradition. Dann aber gab es noch eine andere mündliche Überlieferung. 1719 äußern sich Viertelmeister und Kramerschaft zu Annaberg in einer Eingabe an den Rat: "Man will vor Gewiß sagen, daß sogar die ersten Spitzen durch einen Annaberger fabriciret sein sollen; es ist auch solches gar wohl Zuglauben, weilen nicht unbekandt, daß fast der Anfang dieses Spitzen-Handels von denen Annabergern herstammet, welche sie am ersten in frembde Länder geführet haben, dahero auch viele, so solchen Handel nachgeahmet, sich an frembden Orten alle von Annabergk genennet haben, ob sie schon 1 biß 2 Meilen davon gewohnet haben“. Diese Mitteilung, welche sich nicht etwa auf die Entstehung des Spitzenklöppelns und des Spitzenhandels überhaupt, sondern nur auf das Aufkommen dieser Erwerbszweige im Erzgebirge bezieht, nennt einen Mann, welcher diese Produktion einführte, und behauptet nicht einmal mit Bestinmnmtheit, daß die Anfänge des Spitzenhandels in Annaberg zu suchen sind25.

Wenn heute immer noch an der bekannten Ansicht über Barbara Uthmann festgehalten, ja diese durch Publikationen, in den Schulen und bei Führungen in Museen immer weiter verbreitet wird, so beruht dies nicht etwa auf der Erschließung neuer, untrüglicher Quellen, sondern hat es seinen Grund darin, daß immer wieder Menschen die Behauptung, die Uthmann habe das Klöppeln eingeführt oder gar erfunden, aufstellten, und diese nahmen ruhig hin und gaben es für gewisseste Wahrheit aus, was früher wenige als Möglichkeit hinstellten.

Die erste Frau, von welcher wir mit Bestimmtheit wissen, daß sie klöppeln ließ, ist die mehrerwähnte Margarethe Jenisch.

Barbara Uthmnann war immer um das Wohlergehen ihrer Kinder bemüht. Bis auf den Sohn Marcus hatten alle ihren Weg ins Leben gefunden. Er war ein Mensch, der außer mit dem Schuldturm auch mit dem Gefängnis Bekanntschaft machte, "weil er sich mit Aufborgen und Ansetzen der Leute, sowie auch sonst leichtfertig verhalten“. Deshalb ließ Barbara das 1564 für 550 Gulden gekaufte Haus in der Großen Kirchgasse (heute Nr. 17) auf Ehefrau Catharina und Kinder von Marcus überschreiben, mit der Festlegung, daß seine Gläubiger keinerlei Recht auf dieses Haus erlangen könnten26. Am 9 Januar 1565 kaufte Barbara ein Haus in der Großen Kirchgasse27 (heute Nr. 10), das sie gemeinsam mit der Tochter Ottilia bewohnte. Wenige Jahre später lernte Ottilia Ludwig Cammermeister, Camerarius genannt, kennen28. Ludwig war Arzenei Doctor und Medicus practicus und ein Sohn des berühmten Humanisten und Professor der Leipziger Universität Joachim Camerarius. 1571 erklagte Barbara einen Garten (heute Barbara-Uttmnann-Platz Ecke Scherbank) von Peter Hempels Witwe wegen darauf lastender 120 Gulden29. Ebenso kaufte Barbara in den Jahren 1570 und 1571 drei Grundstücke am oberen Ende der Siebenhäusergasse30,31,32 (heute Nr. 24, 26 und 28). Auf diesen Grundstücken legte Ludwig Camerarius den ersten Annaberger Botanischen Garten an.

Als Barbara Uthmann am 15. Januar 1575 starb33, wurde sie mit großen Ehren auf dem Annaberger Friedhof beigesetzt. Sie hinterließ ein Lebenswerk, das in der Geschichte der Stadt Annaberg seinesgleichen sucht.

 
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Vorwort
(Peter Rochhaus)
Barbara Uthmann und ihre Zeit
(Reinhart Unger)
Quellenangabe
Anhang 1
Beschwerde Annaberger Bürgerinnen (Transkription: Reinhart Unger)
Anhang 2
Die Uthmann-Legende und die Zeit ihrer Entstehung (Hermann Lange)
Anhang 3
Das "Bild der Barbara Uthmann" und ihre angebliche Handschrift (Hermann Lange)
Anmerkung
(Annegret Münch)

 Reinhart Unger
Buchholzer Str. 10

D-09456 Annaberg-Buchholz

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